Andreas Fröhlich Schule

Vorwort

Klepsau im Tal der Jagst – da gab es bis vor wenigen Wochen eine kleine Schule für Kinder mit körperlichen und mehrfachen Beeinträchtigungen. Seit 2001 trug diese Schule meinen Namen, Andreas Fröhlich-Schule. Ländlich, idyllisch, heimelig, naturverbunden – so könnte man die Situation beschreiben.

Nun ist die Schule umgezogen, in ein Schulzentrum, einen eher funktionell-sachlichen Neubau. Zusammen haben alle Schüler eine ebenfalls neue Mensa, einen angepassten, „barrierefreien“ Schul-Spielplatz / Pausenhof.

Begegnungen sollen möglich werden, gemeinsame Aktivitäten und gemeinsamer Unterricht, eine moderate Form inklusiven Unterrichts ist das Ziel der Veränderungen.

Die Eltern freuen sich, dass ihre Kinder nun zusammen mit allen anderen Kindern in die Schule gehen. Therapeutinnen und LehrerInnen sehen viele neue Aufgaben, die es zu meistern gilt.

Eine Einweihungsfeier fand statt, Bürgersaal, Mensa und Schule im Schulzentzrum von Krautheim an der Jagst ( in dieser kleinen Stadt tat Götz von Berlichingen seinen berühmten Spruch!). Auch jetzt, am neuen Standort in den neuen Gebäuden heisst die Schule Andreas Fröhlich – Schule und ist ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum für körperliche und motorische Entwicklung, einschliesslich Aussenklassen und Schulkindergarten (SBBZ).

Ein paar Gedanken sollte ich zur Einweihung beisteuern:

Zukunft und Chancen im Zentrum Krautheim

Immer möchten Menschen gerne in die Zukunft schauen, möchten wissen, was da auf sie zukommt, möchten sich vorbereiten, wappnen, schützen oder schon mal auf kommende Erfolge anstossen.
Ja, wenn man nur wüsste, was die Zukunft bringt.

Wir wissen es nicht und auch wissenschaftliche Prognosen sind nur etwas komplexere Wetten auf die Zukunft.
Aber Überlegungen kann man anstellen und Wünsche, die darf man frei formulieren.

Wir haben in den vergangen Jahren seit der Ratifizierung der UN Charta Rechte behinderter Menschen eine beeindruckende Bewegung erlebt, der es gelungen ist, die Lebensumstände vieler Menschen mit Beeinträchtigung in ein anderes, neues Licht zu rücken. Die alltäglichen kleinen und grossen Hindernisse, der heimlich oder offene Ausschluss, die Diskriminierungen – all das wurde vielen jetzt wirklich deutlich bewusst. Im Gesundheitswesen, in der Bildung, beim Bauen, im Beruf wurde „Barrierefreiheit“ ein zentrales Stichwort. Wir erleben derzeit einen deutlichen Wandel, behinderte Menschen werden mitgedacht, sie gehören dazu.

Als vor Jahren eine kleine Schule in Klepsau mich als Namenspaten gewählt hat, habe ich daran eine Bedingung geknüpft.

Niemals, so lautete diese, dürfe eine Kind „wegen der Schwere seiner Behinderung“ nicht aufgenommen werden. Mir liegen diese Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen besonders am Herzen, die so schwer beeinträchtigt sind, dass sie sich selbst kaum mitteilen können, dass sie in nahezu allen Aktivitäten des täglichen Lebens Hilfe und Begleitung brauchen. „Schwerstbehinderte“ Menschen eben. Leider – das muss man deutlich sagen – finden diese Menschen in der UN Charta keine Erwähnung. Schaut man sich alle die Hinweise im Text an, die sich konkret auf Menschen mit Behinderung beziehen, so wird man feststellen, dass an die Gruppe dieser Menschen nicht gedacht worden ist. Ihre Lobbyisten haben offenbar bei der Erstellung der Resolution gefehlt. Wieder einmal.

Und daraus würde ich gerne in Zukunft eine Chance für „meine“ Schule machen. Eine Schule, die versucht, wirklich für alle Kinder Partizipationsmöglichkeiten zu entwicklen. Will man sehr schwer und komplex beeinträchtigten Kindern Partizipationsmöglichkeiten erschliessen, so muss man die schon ein bisschen ausgetretenen Pfade des gemeinsamen Unterrichtes wahrscheinlich verlassen. Dabei sein, wenn andere etwas tun,

etwas hingehalten bekommen, mit dem andere arbeiten, ein farbiges Tuch übergelegt bekommen, das vielleicht für die anderen ein Symbol für etwas ist – das ist noch keine Partizipation.

Schule soll Bildung vermitteln – für alle. Ich beschreibe Bildung gerne als Partizipation am kulturellen Erbe der Menschheit.

Dazu gehört sehr viel, alles, was der Mensch im Laufe seiner vieltausendjährigen Geschichte entwickelt hat, Sprache, Schrift, logisches Denken, aber ebenso die Ausdrucksformen der Zuneigung, das Alphabet der Gefühle, die unterschiedliche Zubereitung des Essens und die Variationen des Geschmacks, die Kleidung, die Hygiene, das Konfliktmanagement im Alltag – all das ist kulturelles Erbe, an dem wir uns beteiligen wollen und sollen. Wir sollen nicht nur Anteil haben, etwas abbekommen davon, sondern wir sollen uns auch beteiligen, also unseren Teil dazu geben. dann erst kann von Partizipation die Rede sein.

Und das muss auch für Kinder, für junge und alte Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen gelten.

Ihre Erfahrung mit Schmerz, ihr Wissen um das Leben in Abhängigkeit, ihre Fähigkeit Stimmungen sensibel zu erspüren, ihre Kompetenz, Gefühlen unmittelbar Ausdruck zu geben – das muss als ein Teil unseres sich ständig weiter entwickelnden kulturellen Erbes wertgeschätzt werden.

Wenn nun die Andreas Fröhlich Schule sich im Schulzentrum Krautheim darauf einlässt, mit anderen Schulformen intensiv zu kooperieren, den Gedanken der Gemeinsamkeit in die Praxis umzusetzen, dann muss auch diese besondere Lebenswirklichkeit ein Teil des Ganzen werden.

KInder sind nicht gleich, es gibt keine wirkliche Homogenität der Schülerinnen und Schüler, ihre Lebensumstände sind verschieden, sehr verschieden oft.

Die Begegnungen mit Kindern aus Familien, die Flucht, Vertreibung, Krieg, Angst, Todesgefahr, Gewalt und Hilfsbereitschaft erfahren haben, zeigt uns deutlich – wenn wir die Augen nicht verschliessen – wie unterschiedlich Kinderleben sein können. Und wie behutsam man daran gehen muss, eine gemeinsame positive Erfahrungswelt für Kinder aufzubauen. Auch für die, denen bislang – und Gott sei Dank – nichts Schlimmes zugestossen ist.

Aber auch sehr schwer behinderte Kinder sind „Überlebende“. Ihre Schwangerschaft, die Geburt, die frühe Zeit danach waren wahrscheinlich extreme Krisenzeiten. Eine Krankheit, ein Unfall, eine genetische Veränderung haben sie an den Rand des Lebens gebracht, sie konnten gerade noch auf die Seite des Lebens gezogen werden. Da gibt es viele nachdenkenswerten Gemeinsamkeiten.

Für mich wäre es ein starker Wunsch, wenn die Kinder aus den wohlbehaltenen Familien, die Kinder, deren Lebensweg als Karriere schon vorgezeichnet scheint, etwas davon partizipieren könnten, was es heisst zu überleben. Wie grossartig es sein kann, einfach am Leben Teil zu haben, mit anderen Kindern zusammen. Das ist nicht zuerst eine Frage der richtigen didaktischen Vorbereitung, das hat auch wenig mit dem passenden Arbeitsmaterial und schon gar nichts mit dem Erreichen des Klassenzieles zu tun. Schule sollte ( manchmal wenigstens) erkennen können, dass sie für die Kinder da ist, dass sie den jungen Menschen einen Platz zum Leben anbieten soll, durchaus auch zum Lernen. Aber bitte nicht zum Lernen von „Stoff“, der seinen Sinn schon verliert, wenn er einmal abgefragt ist.

Durch ein allzu enges Verständnis von Bildung schafft sich das System Schule selbst Schwierigkeiten, produziert gewissermassen die Kinder selbst, die dann als schwierig gelten.

Ich hoffe, dass die Andreas Fröhlich Schule im Schulzentrum Krautheim mit „Gedankenfrische und Offenheit“ einen Beitrag zur Lebenswelt Schule einbringen kann. Zusammen mit „schwierigen“, mit geistig und körperlich beeinträchtigen, in ihrer Wahrnehmung, in ihrer Bewegungsfähigkeit, in ihrem Denken und auch Fühlen sehr unterschiedlichen, ja, manchmal „fremden“ Kindern, kann man auch die Welt anders, differenzierter und bunter sehen.

Das wären doch Chancen und Hoffnungen, oder?

 

 

 

Eine Sprache der Nähe

Eine Sprache der Nähe… genau das wäre es.
(Hanns-Joseph Ortheil, Liebesnähe S.286)
Aspekte einer Begegnung auf der Grenze.

Grenzerfahrungen sind nach Karl Jaspers jene Erfahrungen im Leben eines Menschen, in denen er nicht mehr auf Vorerfahrungen, auf Routinen, auf Gewohntes zurückgreifen kann. Es sind Erfahrungen, die ihm deutlich werden lassen, dass er an die Ränder seines bisherigen Lebens kommt. Solche Grenzerfahrungen sind in der Begegnung mit lebensverkürzend erkrankten Kindern eher die Regel als die Ausnahme. Und zwar im doppelten Sinn, die Kinder selbst geraten an die Grenzen ihrer bisherigen Welt, an die Grenzen ihrer bisherigen Erfahrungen und wohl auch an die Grenzen ihrer Vorstellungen. Aber auch die Familie findet sich in Situationen, in denen sie nicht auf Erfahrung, Wissen, erworbene Kompetenz zurückgreifen können.

Diejenigen, die ehrenamtlich oder beruflich sehr schwer erkrankte Kinder begleiten, haben sich im Lauf ihrer engagierten Arbeit natürlich gewisse Erfahrungen angeeignet. Sie können ganz sicher auf einiges zurückgreifen, was ihnen, den Kindern und ihren Angehörigen hilft, mit der Grenzsituation ein wenig besser zurecht zu kommen.

Ich möchte Möglichkeiten andeuten, mit sehr schwer und mehrfach behinderten Kindern in Kontakt zu kommen und in Kontakt zu bleiben. Diese Kinder sind schon in ihren „gesunden Tagen“ eine spezielle Herausforderung für unsere Kommunikationsfähigkeit. Ihre Mimik, ihre Stimme, vor allem aber ihre meist nicht vorhandene Sprache, werden uns sehr schnell an die Grenzen unserer eigenen Kommunikationsfähigkeit bringen. Wir werden eben schnell hilflos, wenn es uns nicht gelingt, unser Gegenüber anzusprechen oder aber unser Gegenüber zu verstehen. Die Kommunikation bricht zusammen, es kann das Gefühl entstehen, man habe nichts mehr gemeinsam. hier können Sie den Vortrag herunterladen …

 

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